Fahrradfahren auf Französisch

Nachdem ich gestern kurz vor der Autobahnauffahrt nach Lyon trotz leuchtendgelber Jacke und eindeutigen Handzeichen fast umgenietet wurde, ist er dran - der Artikel, oder besser meine Artikulation zum Radfahren in Frankreich. Woooaaaahhh!

Eines gleich vorweg: Radfahren macht auch, oder gerade hier Spaß. Es ist wärmer als in Deutschland, inzwischen auch wieder sonnig, die Straßen sind fast immer in einem sehr guten Zustand und wenn es doch mal ein paar Asphaltflicken oder Unebenheiten gibt, wird das per Warnschild angekündigt. Dazu gibt es auf vielen stärker befahrenen Routen noch einen fast meterbreiten Haltestreifen, der sich dann auch als Fahrradweg nutzen lässt. Vorausgesetzt, es hat nicht vorher ein Landwirtschaftsfahrzeug ein Labyrinth aus Erde und Steinchen hinterlassen und der Fahruntergrund besteht nicht nur aus kleinen Steinchen.

Grundsätzlich ist die Straßenbeschilderung in Frankreich der deutschen sehr ähnlich: Vorfahrts- und Warnschilder wechseln sich ab, dazu kommen "Erinnerungen" an Schulkinder in kleinen Orten sowie Hinweise auf Städtepartnerschaften und Besonderheiten - z.B. "ville fleurie", die "blumenreiche Stadt" - am Ortseingangsschild. Anders als in Deutschland werden hier zusätzlich zu den obligatorischen Verkehrszeichen noch verbale Erklärungen gereicht: "Ralentissez" (Langsamer werden!), "Cedez le passage" (Vorfahrt gewähren) und "Prioritaire aux pietons" (schön: "Fußgänger haben Priorität").

Eine dieser Erklärphrasen bezieht sich auf ein Piktogramm, in dem ein Auto neben einem Fahrrad bzw. Fahrradfahrer zu sehen ist: "Partageons la route" (Lasst uns die Straße gemeinsam nutzen). Ebenso gibt es ein Verkehrwarnschild mit einem Radlerpiktogramm in der Mitte, dass die Passage von Zweirädern vorhersagt. Und hier fängt meiner Meinung nach das Problem an: diese Verkehrsschilder existieren praktisch nur dort, wo Frankreichs Verwaltung und Touristiker einen Radweg installiert haben - sei es als schnelle "piste cyclable" (meist gut asphaltierte Radroute) oder als gemütlicher Radwanderweg über Landstraßen. Sind keine Radwarnzeichen zu sehen, existieren die Radfahrer in den Köpfen der Autofahrer praktisch nicht.

Natürlich übertreibe ich hier, sonst würde ich diesen Artikel grad nicht (mehr) schreiben können.

In den ersten Tagen meiner Fahrradtour hab ich schon manches Mal ziemlich geflucht, wenn ein LKW-Fahrer sehr nah an mir vorbeizog und mich nach erfolgreicher Überholung durch den nachfolgenden Windwirbel aus meiner Bahn warf. Ich bin sehr froh, dass ich mich beim Jackenkauf in Deutschland für die neongelbe Variante entschieden habe und treffe auch hier sehr viele Radfahrer, die ebenso in Warnfarben gekleidet sind. Dazu habe ich mir angewöhnt, ein wenig zu schlenkern, wenn ich "große" Fahrzeuge hinter mir höre, meine Hand nach links auszustrecken und per Kopfdrehen Zeichen zu geben, dass ich die Fahrzeuge erkannt habe. Es funktioniert soweit ganz gut, ich habe das Gefühl, dass mir die Fahrzeuge nur noch selten zu nah kommen. Aber vielleicht liegt das auch daran, dass ich jetzt nicht mehr ganz so tief im Süden bin.

Das Problem des Zu-eng-Überholens ist unter hiesigen Radfahrern wohlbekannt und so verkaufen die Radfahrer hier "baton rouges" - rote Stöckchen, die man ausklappbar links am Fahrrad montiert, sodass ein Auto zwangsweise Abstand halten muss. Ich hab tatsächlich schon überlegt, mir sowas zuzulegen, aber habe nie aktiv nach einem Fahrradladen gesucht. Und jetzt bin ich ja fast fertig mit der Frankreichtour...

Es ist nicht so, dass die Franzosen das Fahrrad nicht mögen, im Gegenteil: Radfahren ist hier Volkssport, man denke nur an die Tour de France. Tatsächlich begegnen mir bei gutem Wetter immer wieder Herren aller Altersklassen in sportlichen Gewändern auf noch sportlicheren Drahteseln. Diese gehören meist zur Kategorie Rennrad (velo de cours), während man Mountainbikes (VTT - velo tous terrains) und Tourenräder (VTC - velo tous chemins) eher selten sieht. Letzteres liegt vielleicht auch daran, dass ich bisher in der Vorsaison in eher flacher bis leicht hügeliger Landschaft unterwegs war. In den Städten gibt es natürlich Räder aller Arten und Weisen, sehr oft auch ein städtisches Fahrradverleihsystem. Dieses soll die Leute dazu animieren, vom Auto aufs Zweirad umzusteigen - was laut Erzählungen meiner Gastgeber nur mäßig funktioniert. So treten in den Großstädten vor allem die in die Pedale, die vorher schon ÖPNV-Nutzer waren. Aber noch ist ja nicht aller Tage Abend!

In ländlichen Gebieten bleibt es aber dabei: Radfahren wird hier als Sport und Hobby betrachtet, nicht als reguläre Transportmöglichkeit. Und so kommt es, dass die fein ausgebauten Radwege von einem Schildermeer aus Stopp- und Umleitungsschildern begleitet werden, die - wenn man sie ernst nehmen würde - zu einem ständigen Anhalten an Wegeskreuzungen führen würden. Vielleicht ist das auch der Grund, warum sich hiesige Radfahrer so wenig an Verkehrsregeln halten? Jedesmal, wenn ich hier einen Franzosen auf dem Rad begleitet habe, haben wir Schilder "übersehen", Ampeln bei Rot überfahren,... etwas, was ich in Deutschland wirklich zu vermeiden versuche!

Traurige rote Ampel
Wer bei rot anhält, hat Zeit zum Fotografieren ;-)

Für mich sind die Stop-and-Go-Schilder der "pistes cyclables" ein Grund, lieber kleine, weniger befahrene Landstraßen zu frequentieren, sofern das auf meiner Route irgendwie möglich ist. Da sich GoogleMaps auch sehr gut mit Forststraßen auskennt, radle ich so ab und zu mal durch den Wald oder über Weinfelder, wobei ich mich dann meistens verfahre... deshalb frage ich mich an fragwürdigen Stellen gern mal bei der Lokalbevölkerung (wenn vorhanden) durch. Dort merke ich dann oft, dass das Radfahren zum Erreichen etwas weiter entfernterer Orte einfach nicht in Betracht gezogen wird. Entweder empfiehlt man mir die stark befahrenen, geradeaus verlaufenden Straßen oder man warnt mich vor den kleinen, wo ich mich doch verfahren könnte. Dann gibt es Tipps zu 15km-Umwegen, die mir bei einer 70km-Strecke schon eher unlieb wären. Aber nachdem ich mein Reiseverfahren (möglichst kurze Strecke auf möglichst kleinen Straßen) erklärt hab, kann man mir meist gut weiterhelfen.

Interessant ist vielleicht auch das Blinken der Franzosen beim Überholen: hier blinkt man nicht links beim Ausscheren und schließlich wieder rechts beim Zurückkehren auf die eigene Bahn - nein, hier wird konsequent links geblinkt, bis der Überholvorgang abgeschlossen ist. Der Vorteil dieser Blinkvariation hat sich mir noch nicht erschlossen, abgesehen vom Einsparen einer Fingebewegung des Fahrers... Manchmal kommt es natürlich auch vor, dass ich ein paar Autofahrer überhole - rechts direkt vor einer roten Ampe. Da spielen die Franzosen deutlich seltener als Deutsche das Jetzt-bin-ich-aber-sauer-und-fahr-beim-nächsten-Mal-ganz-nach-rechts-Spiel. Ich bin dafür (und vielleicht auch die in der Schlange folgenden Autofahrer) sehr dankbar, denn bei Ampelstaus möchte ich meine Abgasatemzeit gern kurz halten. Und den nachfolgenden Autos auch gern mein Hindernisdasein möglichst lange ersparen.

Es gibt noch eine Radfahrsache, die ich aus Frankreich gern nach Deutschland "importieren" möchte: die Asphaltbemalung für autorisiertes Befahren von Einbahnstraßen in entgegengesetzter Richtung. Zwar darf man das in Deutschland auf einigen Straßen auch, aber der einzige Hinweis darauf besteht aus einem Schild am Eingang der Straße. Hat der Autofahrer dieses übersehen, wird er von entgegenkommenden Radlern überrascht (und reagiert manchmal nicht besonders höflich). Sind jedoch in regelmäßigen Abständen Fahrradpiktogramme mit Pfeilen auf dem Asphalt markiert, kann der Autofahrer dies nicht übersehen.

Fahrradmarkierung & Leihräder in Toulouse

Vive le cyclisme en France!
(Es lebe das Fahrradfahren in Frankreich!)
Meike (Gast) - 9. Apr, 19:11

Die Einbahnstraßenbemalung hab ich auch am Wochenende in Paris bewundert :-D Sollte es hier wirklich auch geben... Aber dein Rote-Ampel-Bild ist ja super! Hast du da Hand angelegt oder nur abgelichtet? ;-)

MuTZelchen - 11. Apr, 17:20

Nur geknipst :-)

Soviel Zeit hab ich dann doch nicht gehabt an der roten Ampel... aber ich bin auch seeehr zufrieden mit dem Ergebnis!

Aktuelle Beiträge

Ge*ä*ndert.
Lang, lang, ja wirklich laaaaaaaang ist es her, seit...
MuTZelchen - 29. Mär, 14:56
RECODE - Selten ein gutes...
RECODE - Selten ein gutes Zeichen, wenn man von Software...
waldwuffel (Gast) - 23. Mär, 20:49
RECODE.
Vor ein paar Monaten wachte ich nachts um drei auf...
MuTZelchen - 16. Nov, 17:44
Der Artikel gefällt mir...
Der Artikel gefällt mir sehr gut. Ich weiß nicht, ob...
deprifrei-leben - 4. Mär, 23:13
Danke für den Artikel....
Danke für den Artikel. Er trifft m.E. so manchen Nagel...
Waldwuffel (Gast) - 4. Mär, 22:04

Suche

 

Status

Online seit 6104 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 29. Mär, 15:03

Credits


Dresden
Fahrrad & Rikscha
Kurioses & Erkenntnisse
Leben
Lesen, Sehen und Hören
Mathematik
Meta
Poesiealbum
Postkartenaktion
Reisen
Schweden
Weihnachtslyrik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren