Samstag, 27. Februar 2016

Ich habe rassistische Gedanken. Und fünf Thesen.

Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll. Vielleicht hiermit:

"Ich habe rassistische Gedanken."
Und: "Ja, ich wohne in Dresden."

Reicht, um das gängige Sachsen-Klischee zu bedienen, ne? Dann können alle, die nach Klischeebestätigung gesucht haben, jetzt aufhören zu lesen. Ich mach mal weiter mit den Thesen:

1) Wir alle haben rassistische Gedanken. Ein Rassist ist aber der, der daraus Handlungen ableitet.
Was sind eigentlich rassistische Gedanken? Ich würde sagen, es sind Vorurteile in Bezug auf Herkunft oder Rasse, so wie sexistische Gedanken Vorurteile in Bezug auf Geschlecht und Sexualität enthalten. Beide Debatten - die über Rassismus und Sexismus - werden emotional geführt, enthalten teils hohe Erwartungen an das korrekte Verhalten aller Beteiligten und können übertrieben werden. Stichwort "*innen", Stichwort "Negerpuppe", Stichwort "die Juden". Stichwort "Was darf ich eigentlich noch sagen?". Und was denke ich überhaupt?

Die Ja-Aber-Menschen, die ihre Sätze gern mit "Ich bin kein Nazi" beginnen, haben sicher - so wie ich - rassistische Gedanken. Und ich finde das verständlich, ich finde das sogar okay. Denn, mal ehrlich, denkt nicht jeder Deutsche beim Anblick eines andersfarbigen Mitmenschen erstmal ganz kurz an ein anderes Land und fängt an, Assoziationen mit eben diesem anderen Land abzurufen? Wenn dem nicht so wäre, würde das heißen, dass wir an die Anwesenheit Andersfarbiger so stark gewöhnt sind, dass sie uns nicht mehr als "anders" auffallen. Also im Prinzip auch nicht "andersfarbig" sind. Comprende?

[Hier kommt der nicht-sachliche, emotionale Part:]

Der erste Freund, den ich meinen Eltern vorgestellt habe, war schwarz. Und Sorbe. Und Schlagzeuger, by the way. Ich habe keine Ahnung mehr, woran ich gedacht hab, als ich ihn kennengelernt habe - aber zum Zeitpunkt unserer Beziehung sicher nicht an ferne Länder.
Ich habe - in Dresden - mit Menschen aus Spanien, Rumänien, Russland, Tschechien und Italien zusammengelebt, in Tübingen mit einem Ägypter, in Frankreich zusammen mit Niederländern und Engländern gearbeitet und habe bzw. hatte enge Freundschaften mit Leuten aus Griechenland, Japan und den USA. Ich bin in Frankreich couchsurfend umhergereist und dabei nicht nur bei Franzosen, sondern auch bei einem italienisch-niederländischen Pärchen, einem Marokkaner und einem indigenen Peruaner übernachtet. Im Gegenzug hat meine Couch auch schon Franzosen und einen Litauer beherbergt. Kurzum: ich glaube, ich bin ziemlich weltoffen.

Und trotzdem fühle ich mich "anders", wenn mir an der Haltestelle, im Bus oder in der Kneipe ein Mensch begegnet, der aus einem fremden Kulturkreis kommt, zum Beispiel aus nordafrikanischen Ländern. Ich unterhalte mich unheimlich gern mit Menschen aus anderen Kulturen - und speziell bei Nordafrikanern habe ich die Erfahrung gemacht, dass meistens wesentlich schneller nach einer Telefonnummer gefragt wird, als ich das von Deutschen oder "westlich" geprägten Europäern gewohnt bin. Dass ich viel eher gefragt werde, ob ich verheiratet oder in einer Beziehung sei und wenn ich verneine, dann sehr schnell die "Aber Du bist doch so eine schöne Frau"-Phrase gedroschen wird. Auf der einen Seite ist mir das unangenehm, auf der anderen Seite verstehe ich, dass es einfach kulturell bedingt anders ist. Keiner, mit dem ich geredet habe, hat bisher auch nur ansatzweise Avancen gemacht, körperlich zu werden. Aber: ich habe dieses Verhalten im Hinterkopf und "erwarte" es quasi, wenn ich einem vermeintlichen Nordafrikaner begegne. Das ist ganz klar ein Vorurteil aufgrund der Herkunft eines Menschen, aka ein rassistischer Gedanke. Bin ich jetzt Rassist?

Ich glaube nicht, dass wir uns von Vorurteilen bzw. Gedanken aufgrund des Aussehens des Gegenübers komplett lösen können, und das heißt im Umkehrschluss, dass wir nicht vollkommen frei von rassistischen Gedanken sein können. Allein das Bewusstsein, dass wir rassistisches Gedankengut in uns tragen, ist vielleicht auch ganz gut. Damit können wir immer wieder frei wählen, inwiefern wir auf die inneren Vorurteile reagieren, ob wir die Schublade füllen und schließen oder vielleicht offen lassen, um gegebenenfalls den Einsortierten wieder herausholen zu können.

Allein der Fakt, dass ich mich (männlichen) Nordafrikanern gegenüber etwas unsicher fühle, macht mich meiner Meinung nach nicht zum Rassisten. Im Gegenteil, vielleicht macht es mich sensibel für die Andersartigkeit des Gegenübers, über die ich ja auch manchmal mehr erfahren will. Und ja, es ändert auch mein Verhalten - aber nicht in Richtung Ablehnung, sondern eher in Richtung "freundliche Vorsicht", die sich sehr oft in Wohlgefallen auflöst. Bei anderen optischen oder akustischen Eindrücken verändern meine Vorurteile mein Verhalten sogar in eine positive Richtung, zum Beispiel bei "südostasiatischen" Gesichtern, schwedischen Akzenten, Jeans-und-T-Shirt-Männern... dann will ich oft automatisch mehr über den anderen wissen und bin vielleicht einen Zacken freundlicher als beim Nullachtfuffzehn-Straßenköterblondschopf mit Gelfrisur und Karohemd (das saß, was?). Ist das dann positiver Rassismus?

Wenn wir gar nicht mehr vom Äußeren her auf die Herkunft anderer schließen würden, entginge uns dann nicht auch der Ansatz für kulturelle Austausche? Ich traue mich ja schon gar nicht mehr, Menschen anderer Hautfarbe ohne Akzent zu ihrer Familiengeschichte zu fragen, aus Angst vor unterstelltem Rassismus. Dabei freue ich mich selbst sehr, wenn mich Leute aufgrund meines Dialektes oder (im Ausland) Aussehens nach meiner eigenen Herkunft fragen... wo beginnt rassistisches Verhalten und wo hört es auf? Vielleicht ist Rassismus nicht nur schwarz-weiß, sondern hat ebenso Graustufen? Und vielleicht sollten wir vermeintlichen Rassisten eher klar machen, dass man aus "Der-ist-fremd"-Gefühlen nicht immer eine Abwehrhaltung ableiten muss?

2) Sachsen "ist" nicht rechts. Aber Sachsen hat sehr wohl ein rechtes Problem.
Dieser Punkt ist ziemlich einfach: Menschen mit tatsächlich rechter und (verhaltens)rassistischer Gesinnung sind in Sachsen in der Minderheit. Es stimmt leider, dass diese Minderheit größer ist als die rechte Minderheit in anderen Bundesländern. Und ja, das ist absolut scheiße. Aber deswegen muss man das Land bzw. nicht alle dort lebenden Leute gleich mit verurteilen. Das erzeugt Widerwillen, Rechtfertigungsgehabe und saugt Energie, die man an anderer Stelle vielleicht besser einsetzen könnte.

3) Stolz und Scham sollten sich auf Dinge beziehen, die man selbst verursacht hat.
Dieser Punkt ist streitbar, sicher. Klar kann man "stolz auf Deutschland" sein, und dann darf man sich sicher auch fremdschämen für Deutsche. Ich finde aber den Gedanken schöner, dass man nur stolz auf eigene Leistungen und beschämt über selbst verursachten Bockmist sein sollte. Verantwortung für die Handlungen anderer werde ich erst übernehmen, wenn ich Mutter oder Chef bin. Oder vielleich meine Eltern pflege.

4) Einen Ort meiden, weil eine Minderheit dort Scheiße baut, bedeutet Sippenhaft für die Mehrheit.
Dies ist eine Ansage an diejenigen, die in letzter Zeit vollbrünstig mit Anti-Sachsen-Kommentaren auf diverse Artikel reagieren- so à la "Die Sachsen sollen erstmal mit Ihrer rechten Sch... klarkommen, dann fahr ich vielleicht wieder hin.":
  • Ihr kennt also Sachsen per Ferndiagnostik sehr gut, ja? Schade, dass Ihr Euch vor Ort nicht von der Richtig- oder Falschheit Eurer Meinung überzeugen wollt.
  • Danke für die Unterstützung bei der Verbesserung der Situation - es war schon immer leichter, allein mit Problemen klarzukommen als mithilfe von Freunden...
  • Ach, in Leipzig ist demnächst ein cooles Konzert? Und Leipzig ist ja auch eigentlich ne Ausnahme im rechtsradikalen Sachsen? Na dann...
  • Hm, irgendwie wird Sachsen momentan nicht bunter dadurch, dass Ihr und Eure bunten Freunde wegbleibt. (Und das finde ich EHRLICH schade!)
  • Wo fahrt Ihr dann im nächsten Urlaub lieber hin? Selbstfindungstrip nach Indien? Genau, da existiert ja gar kein Rassismusproblem...
Ehrlich, es nervt! Und hier habe ich auch grad wirklich keine Lust, sachlich zu argumentieren - es kann sich eigentlich jeder selbst zusammenreimen, das Vermeidung nicht zur Verständigung beiträgt. Stichwort "Wirtschaftsembargo" für wahlweise Kuba, Russland, Libyen... die Bevölkerung dort hat meist nix davon gehabt.

5) Nicht jeder kann sich für bzw. gegen alles und jedes engagieren. Aber eine Meinung haben und vertreten geht.
"Ihr Sachsen, kriegt endlich Euren Arsch hoch und schaut nicht einfach zu." Gehe ich mit. Habt Ihr Recht.
Aber die Art und Weise - ob per Gesichtzeigen in Facebook, Patenschaft übernehmen für Flüchtlinge, montags bei PEGIDA mit Demonstranten reden (auch das gibt's!), Plakate kleben, Plakate abreißen, Geld für bürgerschaftliches Engagement spenden oder sich für Plattenbaukinder einsetzen, damit dort rechtes Gedankengut gar nicht erst auftritt - sollte jeder selbst bestimmen dürfen.

Soweit meine Meinung. Ich gebe ab an Jan Böhmermann.

Dienstag, 23. Februar 2016

Neulich im Buchladen

Ich bin ja nicht so das Shopping-Girl, aber wenn es eine Ladenart gibt, die mich immer wieder schwach werden lässt, dann sind es wohl Buchläden. Allen voran die kleinen, privat geführten, wo die Verkäufer auch tatsächlich noch Bücher und nicht nur Buchempfehlungen lesen. Und so bin ich gestern, dem aufkommenden Regen ausweichend, auf dem Dresdner Bischofsweg in ein "Modernes Antiquariat" spaziert und fand mich in einem Sammelsurium meiner bisher gelebten und geliebten Lektüre wieder... wirklich, da waren eine Menge Titel, die ich schon gelesen und meistens auch für gut befunden hatte!

Aus diesem Grund verweilte ich etwas länger und versuchte, die Anordnung der Bücher zu verstehen, um dann gezielt nach einzelnen zu suchen. Ich bin nämlich gerade dabei, mein Leseregal zu Hause mit meinen Lieblingen zu vervollständigen, damit ich sie bei Gelegenheit zitieren oder Freunden ausleihen kann. Meine bisherige Bücherstrategie - kaufen, lesen, verschenken - hat bei diesen Werken nämlich immer zum Nichtvorhandensein bei akutem Bedarf geführt.

Als ich das Buch also nicht gefunden habe, fragte ich beim Ladeninhaber nach Kästners "Notabene '45" und fand mich, schwups, in einer Unterhaltung über den Autor wieder. Und wie wir so zwei, drei Sätze austauschten, meinte der mit dem Buchhändler befreundete Gast ganz trocken: "Der Kästner ist in meinen Schlafzimmer geboren worden." - Ich: "Königsbrücker Str. 66?" - Er, überrascht: "Ja, vierter Stock."...

Ich gebe zu, diesen Mann hätte ich gern aus Kästner-Groupie-Gründen mal in seinem Schlafzimmer besucht!

Donnerstag, 18. Februar 2016

Dem Kästner sein Optimierungsalgorithmus

"Indes sie forschten, röntgten, filmten, funkten, entstand von selbst die köstlichste Erfindung: der Umweg als die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten." - Erich Kästner

Ich glaub, da geh ich mit ;)

Mittwoch, 23. Dezember 2015

Bratapfelspezialistin

Neulich am Bratapfelstand, ich komme mit Kunden ins Gespräch und es ergibt sich, dass ich meinen Hochschulabschluss erwähne. Daraufhin: "Und was machen Sie jetzt?" - "Bratäpfel verkaufen." Es folgt ein leicht irritiertes Gesicht auf der Gegenseite, dann Lachen und schließlich der gute alte abgewandelte Geisteswissenschaftler-kauft-Pommes-Witz:

"Was sagt ein arbeitsloser Mathematiker zu einem, der Arbeit hat?"
- "Nen Bratapfel, bitte!"

Ich liebe diesen Job!

Sonntag, 14. Juni 2015

Zurück!

Und das seit zweieinhalb Wochen... ich muss dringend berichten!

Montag, 25. Mai 2015

Internetionales Weltenbummeln

Da sitz ich nun im "Adler Luxury Hostel" in Singapur und spuere das erste Mal seit ein paar Wochen wieder eine richtige Tastatur unter meinen Fingern. Mein Smartphone wollte mir nicht mehr weiterhelfen beim Checkin fuer den morgigen Rueckflug, also mache ich Gebrauch vom "Complimentary Laptop Use" (=Laptopangebot). Und wo ich schon mal da bin, kann ich auch gleich eine Runde bloggen...

Ich war nur zweieinhalb Wochen in Malaysia und in diesem Falle kann ich das NUR noch einmal speziell betonen. Bewaffnet mit einem grossen und einem kleinen Rucksack, einem deutschsprachigen Reisefuehrer und einem internetfaehigen Mobiltelefon habe ich wahrscheinlich das typische Backpackerprogramm absolviert: Grossstadtluft und Tempelduefte in Kuala Lumpur schnuppern, Teeplantagenbesichtigung in den Cameron Highlands, Trishaw fahren in Penang, Schnorcheln und Sonnenbrand kurieren auf den Perhentian Islands und zum Abschluss noch einmal durch den Regenwald im Nationalpark Taman Negara trotten. Wandern im Stechschritt scheint mir aufgrund der feuchten Hitze nicht moeglich, mich zumindest hat das Klima ganz automatisch ausgebremst. Da freut man sich ueber jedes Tierchen, was entlang des Weges als "Ausrede" zum Anhalten herhalten kann ;-)

Der Transfer von einem Ort zum anderen gestaltete sich anders als urspruenglich erwartet: eigentlich wollte ich den oeffentlichen Fernverkehr nutzen und war guter Dinge, zu diesem vor Ort auch genuegend Informationen in Form von Zeittafeln und Linienplaenen zu bekommen. Online war im Vorhinein leider nicht soviel ausfindig zu machen - und so war es dann auch im Land selbst. Die innermalaysische Zugstrecke scheint derzeit komplett eingestellt zu sein, sodass mein Traum vom Dschungelzug leider abgefahren ist. Stattdessen arbeiteten wir uns von touristischen Hoehepunkt zu touristischen Hoehepunkt in mehr oder weniger bequemen touristischen (Klein-)Bussen - Kennenlernen anderer Touristen garantiert! Eigentlich schade, dass ich so nur wenig von der echt-malaysischen Alltagskultur kennenlernen konnte. Aber vielleicht ist das auch etwas viel verlangt fuer den knappen Reisezeitraum? Wer Deutschland in zwei Wochen 'absolvieren' will, wird auch nicht komplett eintauchen koennen.

Viele der anderen Reisenden waren mehrere Monate unterwegs, aber kaum einer unter ihnen hatte fuer Malaysia mehr als zwei, drei Wochen eingeplant - insofern sind meine Eindruecke wahrscheinlich sehr Backpacker-authentisch. Und so konnten wir auch als Normalurlauber unsere Erfahrungen an Langzeitreisende weiterreichen, die unsere Stationen in anderer Reihenfolge abklapperten. Im Austausch dafuer gab es Tipps fuer moegliche kommende Aufenthalte in Thailand, Kambodia und Indonesien...

Waehrend dieser Reise ist mir aufgefallen, wie stark ich mich in den vergangenen drei Jahren an die Dauerpraesenz des Internets gewoehnt habe. Es gab auch in Malaysia praktisch keine Herberge, wo man nicht wenigstens ab und zu eine Internetverbindung hatte - ganz im Gegensatz zum Telefonnetz. Und so war facebook zugegebenermassen ein treuer Reisebegleiter, mit dem ich immer mal wieder kulinarische Fotogruesse in die Welt gesendet habe. Auch Bus- und Flugbuchungen wurden per Smartphone erledigt, wobei sich mein gerade mal drei Jahre altes Telefon im Vergleich zum I-Phone meiner Reisebegleitung ein kleiner stoerrischer Esel war. Den ich allerdings sehr lieb habe und nicht sofort gegen ein teures Rennpferd eintauschen moechte!

Auch - oder gerade - hier in Singapur ist das Smartphone omnipraesent. In der Metro sieht man eigentlich nur Menschen auf ihre Mini-Bildschirme starren.
Doch bevor ich selbst den Tag vor einem grossen Rechner verbringe, verabschiede ich mich hiermit und mache mich auf den Weg ins singapurische Nationalmuseum...

Dienstag, 28. April 2015

Radfahren in Stuttgart

Vorgestern bin ich noch mal ein paar Kilometerchen entgegen der Heimrichtung nach Südwesten geradelt - es galt, einen weiteren Freund in seiner neuen Heimat kurz vor Ende der S-Bahn-Linie 6 zu besuchen. Da der Freund inzwischen der Herr Regierungsbaumeister, zugleich Luigis Baumeister und damit fahrradaffin ist, holten wir ihn und sein Drahteselchen gleich von der Arbeit in Stuttgart-Vaihingen ab. Diese kleine Radtour und die Anreise von Tübingen aus haben mir einen neuen Blick auf Stuttgart verschafft, denn bislang bin ich dort vor allem S-, U- und Eisenbahn gefahren oder zu Fuß durchs Stadtzentrum bzw. Bad Cannstatt getrottet. Das bedeutete fast immer viel Alsphaltierung entlang hoher, nicht allzu hübscher Stahlbetongebäude, dazwischen touristische Highlights und ein durch die Tallage begrenztes Sichtfeld. Klar habe ich mich auch mal gefragt, wie die Stadt wohl von oben aussieht, aber mir leider nie die Zeit für einen Ausflug dahin genommen.

Insofern war meine samstagliche Einflugschneise über Stuttgart-Möhringen ein echtes Highlight: in (oder kurz hinter?) Degerloch erreichte ich einen steil abfallenden Waldpark, durch den eine Forststraße verlief, die für den nichtmotorisierten Verkehr freigegeben war. Luigi und ich rollten also langsam den Berg hinunter und erblickten dann rechterhand einen kleinen Pfad mit Radelspuren. Nichts wie rein ins Vergnügen, dachte ich mir, und fand mich wenig später stark holpernd auf einem Wellenparcours wieder, der Mountainbikern wohl eine echte Freude verschaffen würde. Luigi dagegen ächzte ein wenig und meinem und der Fahrradtaschen Gewicht... natürlich waren wir recht bald wieder auf dem Forstweg, wo wir einer kleinen Wandertruppe begegneten, die nicht übel über unser Gespann staunten.

Gleich danach ging es raus aus dem Wald, rein in die Weinhänge. Ein wunderbarer Anblick, der mich gleich wieder an die Umgebung Bordeaux erinnert hat - nur dass in Frankreich eben Wein auf flachem Land und nicht nur an steilen Stücken angebaut wird. Die Abfahrt durch das gutbürgerliche deutsche Wein- und Häuslebaugebiet war auf jeden Fall sehr schön und endete ziemlich genau am Marienplatz, den jeder Stuttgarter kennt. Danach ging's vorbei am Rathaus und dem Schlossplatz in den großen Park, der mich bis Bad Cannstatt führte. An keiner Stelle achtete ich auf Radfahrbeschilderung, da ich die Strecke ab Schlossplatz auch teilweise zu Fuß erkundet hatte.

Die vorgestrige Anfahrt nach Vaihingen jedoch war für mich Neuland und so schaute ich zunächst auf GoogleMaps nach einer geeigneten Route und stellte auf dem Weg recht schnell fest, dass es eine ausgewiesene Fahrradstrecke durch die Stadt gibt. Die Ausschilderung dieser beschränkte sich auf kleine weiße Schildchen mit gründer Beschriftung - leider ohne Nummerierung und damit nicht ganz so bequem wie in der Schweiz, aber doch ganz gut wiederzufinden. Die Wegführung selbst war allerdings... abwechslungsreich, um nicht zu sagen abenteuerlich. Bin ich aus Dresden rote Fahrradstreifen an Hauptverkehrsachsen gewohnt, führt man die Stuttgarter Radler gleich ganz von den Hauptstraßen weg. Sie werden im leichten Zickzack durch Parks, ruhigere Wege, teils auf eigenen kleinen Fahrradsträßchen am motorisierten Verkehr vorbeigeführt, wobei sie natürlich immer wieder mal die Wege der Autos kreuzen und dabei eigentlich immer das Nachsehen im Sinne der Vorfahrt haben. All dies gilt vor allem für die Stuttgarter Innenstadt - je weiter man aus dem Tal herausfährt, desto schöner und sicherer werden Wege und Aussicht. Und sogar die Mentalität der Radfahrer hinter Vaihingen (stadtauswärts) hat mich positiv überrascht: so folgten mir und meinem Radfahrgefährten mehrere PKWs auf einer kleinen Straße, ohne unser Nebeneinanderradeln anzuhupen.

Trotz dieser Rücksicht der Vorstadt-Stuttgarter bleibt ein mulmiges Gefühl, dass in diesem Ort der Fahrradverkehr als Transport- statt Sportmittel noch nicht richtig angekommen ist. Dazu begegneten mir eindeutig zu wenige Radfahrer, standen kaum geparkte Räder an den Straßenseiten und war die Radstreifenmarkierung quasi nicht existent. Schade eigentlich, denn Stuttgart bietet abwechslungsreiches Terrain - und die hiesige Industrie würde es auch ganz sicher schaffen, ihre Mitarbeiter für die Hangbewältigung mit E-Bikes auszustatten. Ich drück den Stuttgartern die Daumen, dass sich da noch was tut!

Montag, 27. April 2015

Erinnerungen auffrischen

Rottweil war auf meiner Reise der letzte "echt" touristische Zwischenstopp: ein Ort, den ich noch nie zuvor besucht hatte, in dem ich bei einer mir bis dato unbekannten Person übernachtet und neue Aspekte des Kleinstadtlebens erfahren habe. So habe ich gelernt, dass ich mich zufällig im ältesten Städtchen Baden-Württembergs befand - allerdings im demographischen, nicht im stadtgeschichtlichen Sinne.

Zum Ausgleich bin ich am nächsten Tag gleich in die jüngste Stadt des Südwestens gefahren. Eine Stadt, in und mit der ich schon durchaus ein paar Erfahrungen sammeln konnte: Tübingen. Vor fast genau einem Jahr habe ich dort versucht, mich für ein paar Monate heimisch einzurichten, mit allem was in einer Studentenstadt dazugehört: WG-Leben, Kneipenausflüge, im Park rumsitzen und lesen. Einziger Haken: ich war damals kein Student, auch nicht formal mit Promotionsvorhaben, sondern gehörte zu denen, die täglich "ins Geschäft" gehen und dort ihrer Arbeit nachgehen. Und wie es sich für das wohnungsumworbene Tübingen gehört, habe ich damals auch nicht in der Innenstadt, sondern in einem dörflichen Stadtteil gewohnt und bin jeden Tag einen kleinen, aber herrlich steilen Berg zu meinem Arbeitgeber geradelt. Eine tägliche (Tor)Tour, die mir das Selbstvertrauen für meine Frankreich-Reise gegeben hat.

Es war eigenartig (und) schön, wieder in der Gegend zu sein. Als erstes erkannte ich die Burg Hohenzollern rechterhand, später las ich die ersten Ausschilderungen für Tübingen und schließlich, hinter dem letzten Anstieg kurz vor Rottenburg, lachte mich die Wurmlinger Kapelle an, die ich früher auch jeden Tag auf dem Heimweg anschauen konnte. Die Dörfer, die ich dann durchquerte, hatte ich schon im Kopf: Kiebingen, Bühl, Kilchberg... und zuguterletzt Weilheim, meinem Zuhause für ein halbes Jahr. So war auch die WG meine erste Anlaufstelle, wo ich Schweizer Kekse und Schokolade zu Kaffee und Kuchen dazustellte. Eigentlich wollte ich gegen 19:00 Uhr bei einer Freundin im Stadtteil Lustnau sein, radelte dann aber doch erst mit dem Sonnenuntergang los.

Aus geplant einem Tag Tübingen wurden zwei, davon ein nostalgischer inklusive Ausflug zur ehemaligen Arbeitsstätte und ein zweiter touristischer mit Berliner Freundin und Museumsbesuch. Beide Tage haben gutgetan, und ich hatte wirklich keinen Bedarf, meinen Rechner herauszuholen. Dieses Bedürfnix pflanzte sich auch an den folgenden zwei Tagen fort... Stuttgart stand bzw. steht auf dem Programm, und auch hier gibt es genug Orte und Menschen, an bzw. mit denen ich Erinnerungen auffrischen möchte.

Nach einem unverhofften samstaglichen Ludwigsburg-Ausflug in "Dresdner" Begleitung war mein gestriges Tagesprogramm gespickt von alten Bekannten: mit vier Freunden aus Dresdner TU-Bigband-Zeiten ging's in den gemischt zoologisch-botanischen Garten "Wilhelma", wo wir Tieren und Kindern beim Spielen zugucken konnten, selbstgebackenen Kuchen verspeisten und ganz nebenbei noch Neuigkeiten der letzten Monate austauschen konnten. Das Wetter erwies sich als gnädig und hat uns lediglich im Gorillahaus etwas länger verweilen lassen. Nach der Verabschiedung der Karlsruhe-Augsburger Connection gab's noch einen Balkonkaffee in Bad Cannstatt und später Speis und Trank in der Stuttgarter Innenstadt. Ein wunderbarer Tag mit Freunden, vielen lieben Dank!

Da ich am Donnerstag bereits wieder in der (gaaanz alten) Heimat sein möchte und der Wetterbericht in Kombination mit meiner Etappenplanungshöchstgrenze (100km) die komplette Heimreise per Rad unmöglich macht, beende ich hiermit den offiziellen - oder vielleicht auch einfach nur ersten - Teil meiner Radfernreisear . Luigi und ich machen es uns jetzt erstmal noch ein, zwei Tage in Süddeutschland gemütlich, bevor wir uns mit motorisierten Wagen nach Hause fahren lassen. Ganz sicher ist: wir kommen wieder und fahren die letzten 500km von Stuttgart nach Dresden ganz sicher noch einmal ab!

Es gibt noch vieles, über das es sich zu berichten lohnt und vielleicht lege ich hier in den nächsten Tagen auch noch ein paar Eindrücke von meiner Reise nach... wenn nicht, seid gespannt auf das nächste Abenteuer ;-)

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