So it goes...
Zwar könnte hier die nächste blumige , oder besser wind-und-wetterige Episode über meine gestrige Fahrradtour von Podensac nach Bordeaux folgen, aber ich möchte lieber etwas in der Zeit springen. So wie der Held vom "Schlachthof 5", von dem ich auch die Titelzeile geklaut habe...
Vielleicht fragen sich einige, warum ich diese Reise hier überhaupt mache. Ich jedenfalls frage mich das immer mal wieder und finde auch ständig neue Antworten darauf. Die gestrige Lektion lautet: "Offener werden", wenn nicht gar "Vorurteile abbauen". Ich schlafe nämlich gerade in Pessac, 8km südlich von Bordeaux, in einer französischen Sozialwohnung bei einem sehr netten Marokkaner, der gerade noch Lieferfahrten macht. Das tut er momentan sieben Tage die Woche, drei Stunden pro Tag und nicht selten in den frühen Morgenstunden. Sieben mal drei macht einundzwanzig, das ist wahrscheinlich der Grund, warum er in den HLM ["Asch el em"] residiert.
Entgegen meiner - durch den Französischunterricht und arte-Beiträgen gewachsenen - Vorurteile ist die Gegend der günstigen Wohnhochhäuser hier überhaupt nicht heruntergekommen, im Gegenteil. Die Wohntürme und Flachbauten erinnern mich eher an sanierte Studentenwohnheime in Dresden (für die Dresdner: an die Wundtstraßen-Hochhäuser). Und mein Gastgeber hat auch mehr Platz, als ich das erwartet hätte, jedenfalls schlaf ich in seinem Arbeitszimmer, in dem sich neben einer Gästematratze auch ein Regal mit Büchern zum Sprachenlernen, über die Programmiersprache Java und über Archäologie finden.
Aber zurück zur Grundfrage: warum mach ich das hier eigentlich?
Dazu muss ich etwas länger ausholen:
Sommer 2000 - erste große Verliebtheit, erste große Fahrradtour. Drei Wochen durch Schweden hinter zwei Jungs hinterherstrampeln, die älter und/oder wesentlich fitter als ich sind. Am Anfang bei jedem Anstieg denken: "Warum mach ich das hier eigentlich?" (erkennt jemand das Muster?). Zwischendurch viel diskutieren, Skat lernen und Pläne schmieden - irgendwann gründen wir eine unabhängige Radiostation! Und gegen Ende der Reise: gar nichts mehr, einfach nur Ruhe im Kopf. Ziemlich ungewöhnlich für eine MuTZ, deren Gedanken sich sonst gern überschlagen. Ein Gefühl, dem ich sonst nur nach langen Saunatagen und fordernden Orchesterproben nahe komme. Ein Gefühl, dem ich mal wieder auf dem Zahn fühlen wollte.
Bereits ein Jahr zuvor: der Wunsch nach der großen Freiheit, ein anderes Land entdecken, am besten weeeeit, weeeit weg. Bewerbungen für ein Stipendium geschrieben und die erste Absage aufgrund zu geringem Alters (ich war noch 15) bekommen. Im Folgejahr wieder probiert, ein paar Bewerbungsrunden durchlaufen, um recht spät die zweite Absage zu kassieren. Mich ziemlich enttäuscht auf die Oberstufe in Deutschland eingestellt, dann aber doch noch einen Finanzierung von meiner Oma zugesichert bekommen (ich kann gar nicht ausdrücken, wie dankbar ich ihr bin!). Und schwupps, nach der Schwedentour 2000 für 10 Monate in die USA zum Lernen geflogen. Dort vor allem gelernt, dass eine andere Sprache und Kultur auch einen anderen Menschen aus einem machen. Plötzlich war ich "cute", im wahrsten Sinne sprachlos und anfangs ziemlich schüchtern...
Nach dem Abi und einem Kurzausflug ins Neu-Berliner Studentenleben gleich nochmal losgezogen, um "in Frankreich zu leben". Der Campingplatz in Saumur war teilweise an meinen Arbeitgeber Eurocamp vermietet, wo vor allem englische und holländische Kunden die bereits vorbereiteten Zelte bezogen. Dort habe ich mehr an meinem amerikanischen Akzent gearbeitet als an der französischen Sprache, geschweigedenn Kultur. Allerdings kenne ich mich seitdem ganz gut mit französischen Lebensmittelketten aus ;-) Ein Angebot, erstmal weiter im Tourismus zu arbeiten, hab ich ausgeschlagen - man sollte doch vernünftig sein, wenn man doch sooo ein gutes Abitur hat... inzwischen hab ich ein gutes Diplom in der Tasche und bin guter Dinge, dass es auf Reisen nicht schaden kann.
2004 bis 2011 - Faust gespielt und studiert, was das Zeug hält. Nebenbei radelnd und laufend die sächsische Landeshauptstadt erkundet, Gästeführerschein gemacht. Reisegedanken gehegt und "vernünftigen" Lebenslauf gepflegt. Praktika bei der Deutschen Bahn und Solarmodulhersteller, Nebenjobs an Uni- und Forschungsinstituten. Ziemlich viel Computer ... eines der Dinge, denen ich hier nur teilweise aus dem Weg gehen will. Während ich radfahre, bleibt das Netbook natürlich aus - in den Pausen und abends schreib ich aber gern mal ein paar Zeilen. Aber dann doch lieber Text als Code!
Zwischendrin: reisen! Kurz, lang, weit, nah - was eben ging und wie's die Freunde mitmachten. 2008 und 2009 auch mal kurz alleine, in Spanien und Norwegen. Damals schon das Couchsurfen schätzen gelernt und sich überlegt, das irgendwann mal wieder zu machen...
Frühling 2014 - letzte große Liebe mit einem lachendem sowie einem weinenden Auge in Dresden zurückgelassen und nochmal den Neustart versucht, mit Aussicht auf eine "Fach- oder Führungskarriere" in einem gemeinnützigen Unternehmen. Geplante Orts- und Abteilungswechsel, überall mal reinschnuppern, das klang eigentlich traumhaft! Zunächst war's auch toll, mal einen neuen Flecken Deutschland zu entdecken und sich ins Schwäbische reinzudenken... dann irgendwann nicht mehr.
Das war der Punkt, wo ich mir eine Pause verordnet habe.
Bis zur Pause hat's noch ein wenig gedauert und ich hab im Dezember 2015 den letzten Job wieder mal mit einem lachenden und einem weinenden Auge verlassen. Bin sehr dankbar über die letzten drei Monate, in denen ich tatsächlich nochmal den Duft eines normalen, "der Ausbildung entsprechenden" Arbeitslebens mit tollen Kollegen schnuppern konnte. Und ich fühle mich nach diesen drei Monaten auch sicherer denn je, dass mich mit einem solchen Büroleben auch anfreunden könnte, wenn es denn irgendwann notwendig würde. Ist es aber gerade nicht - und ich habe inzwischen auch eine sehr klare Idee davon, was ich stattdessen machen könnte. Dieser Vorstellung möchte ich auf den Zahn fühlen.
Irgendwo zwischen dieser ersten Fahrradtour und meiner letzten Kündigung ist in meinem Kopf die Idee entstanden, irgendwann "einfach loszugehen". Eigentlich schon viel früher, denn ich hab mir immer vorgestellt, wie es wäre, wenn ich meinen Nachhauseweg in Bautzen nicht bei meinen Eltern beenden, sondern einfach weiterlaufen würde... irgendwann würde ich Prag erreichen und dort Tschechisch lernen. Ich hatte sogar schon einen Plan, wie ich möglichst kostengünstig über die Runden kommen würde: mit Rapsöl und Vitaminbrausetabletten - viel Kalorien für wenig Geld, dazu die notwendigen Ersatzstoffe ;-) Inzwischen würde ich den Speiseplan wohl etwas umfangreicher gestalten...
Das mit dem Loslaufen hat nicht so richtig geklappt und als mir dann plötzlich klar war, das JETZT der richtige Zeitpunkt ist, kamen mir ganz schöne Muffensausen. Wo ist das denn, die große weite Welt, wo will ich denn da hin? Gottseidank hat der Zufall mir noch rechtzeitig eine Hochzeitseinladung in Südostasien geschickt, sodass das Fernziel Malaysia für Mai inzwischen gesetzt ist. Frankreich hat sich dann irgendwie "ergeben", anders kann ich es nicht erklären. Und ich bin ziemlich froh, dass es so gekommen ist.
So it goes...

Vielleicht fragen sich einige, warum ich diese Reise hier überhaupt mache. Ich jedenfalls frage mich das immer mal wieder und finde auch ständig neue Antworten darauf. Die gestrige Lektion lautet: "Offener werden", wenn nicht gar "Vorurteile abbauen". Ich schlafe nämlich gerade in Pessac, 8km südlich von Bordeaux, in einer französischen Sozialwohnung bei einem sehr netten Marokkaner, der gerade noch Lieferfahrten macht. Das tut er momentan sieben Tage die Woche, drei Stunden pro Tag und nicht selten in den frühen Morgenstunden. Sieben mal drei macht einundzwanzig, das ist wahrscheinlich der Grund, warum er in den HLM ["Asch el em"] residiert.
Entgegen meiner - durch den Französischunterricht und arte-Beiträgen gewachsenen - Vorurteile ist die Gegend der günstigen Wohnhochhäuser hier überhaupt nicht heruntergekommen, im Gegenteil. Die Wohntürme und Flachbauten erinnern mich eher an sanierte Studentenwohnheime in Dresden (für die Dresdner: an die Wundtstraßen-Hochhäuser). Und mein Gastgeber hat auch mehr Platz, als ich das erwartet hätte, jedenfalls schlaf ich in seinem Arbeitszimmer, in dem sich neben einer Gästematratze auch ein Regal mit Büchern zum Sprachenlernen, über die Programmiersprache Java und über Archäologie finden.
Aber zurück zur Grundfrage: warum mach ich das hier eigentlich?
Dazu muss ich etwas länger ausholen:
Sommer 2000 - erste große Verliebtheit, erste große Fahrradtour. Drei Wochen durch Schweden hinter zwei Jungs hinterherstrampeln, die älter und/oder wesentlich fitter als ich sind. Am Anfang bei jedem Anstieg denken: "Warum mach ich das hier eigentlich?" (erkennt jemand das Muster?). Zwischendurch viel diskutieren, Skat lernen und Pläne schmieden - irgendwann gründen wir eine unabhängige Radiostation! Und gegen Ende der Reise: gar nichts mehr, einfach nur Ruhe im Kopf. Ziemlich ungewöhnlich für eine MuTZ, deren Gedanken sich sonst gern überschlagen. Ein Gefühl, dem ich sonst nur nach langen Saunatagen und fordernden Orchesterproben nahe komme. Ein Gefühl, dem ich mal wieder auf dem Zahn fühlen wollte.
Bereits ein Jahr zuvor: der Wunsch nach der großen Freiheit, ein anderes Land entdecken, am besten weeeeit, weeeit weg. Bewerbungen für ein Stipendium geschrieben und die erste Absage aufgrund zu geringem Alters (ich war noch 15) bekommen. Im Folgejahr wieder probiert, ein paar Bewerbungsrunden durchlaufen, um recht spät die zweite Absage zu kassieren. Mich ziemlich enttäuscht auf die Oberstufe in Deutschland eingestellt, dann aber doch noch einen Finanzierung von meiner Oma zugesichert bekommen (ich kann gar nicht ausdrücken, wie dankbar ich ihr bin!). Und schwupps, nach der Schwedentour 2000 für 10 Monate in die USA zum Lernen geflogen. Dort vor allem gelernt, dass eine andere Sprache und Kultur auch einen anderen Menschen aus einem machen. Plötzlich war ich "cute", im wahrsten Sinne sprachlos und anfangs ziemlich schüchtern...
Nach dem Abi und einem Kurzausflug ins Neu-Berliner Studentenleben gleich nochmal losgezogen, um "in Frankreich zu leben". Der Campingplatz in Saumur war teilweise an meinen Arbeitgeber Eurocamp vermietet, wo vor allem englische und holländische Kunden die bereits vorbereiteten Zelte bezogen. Dort habe ich mehr an meinem amerikanischen Akzent gearbeitet als an der französischen Sprache, geschweigedenn Kultur. Allerdings kenne ich mich seitdem ganz gut mit französischen Lebensmittelketten aus ;-) Ein Angebot, erstmal weiter im Tourismus zu arbeiten, hab ich ausgeschlagen - man sollte doch vernünftig sein, wenn man doch sooo ein gutes Abitur hat... inzwischen hab ich ein gutes Diplom in der Tasche und bin guter Dinge, dass es auf Reisen nicht schaden kann.
2004 bis 2011 - Faust gespielt und studiert, was das Zeug hält. Nebenbei radelnd und laufend die sächsische Landeshauptstadt erkundet, Gästeführerschein gemacht. Reisegedanken gehegt und "vernünftigen" Lebenslauf gepflegt. Praktika bei der Deutschen Bahn und Solarmodulhersteller, Nebenjobs an Uni- und Forschungsinstituten. Ziemlich viel Computer ... eines der Dinge, denen ich hier nur teilweise aus dem Weg gehen will. Während ich radfahre, bleibt das Netbook natürlich aus - in den Pausen und abends schreib ich aber gern mal ein paar Zeilen. Aber dann doch lieber Text als Code!
Zwischendrin: reisen! Kurz, lang, weit, nah - was eben ging und wie's die Freunde mitmachten. 2008 und 2009 auch mal kurz alleine, in Spanien und Norwegen. Damals schon das Couchsurfen schätzen gelernt und sich überlegt, das irgendwann mal wieder zu machen...
Frühling 2014 - letzte große Liebe mit einem lachendem sowie einem weinenden Auge in Dresden zurückgelassen und nochmal den Neustart versucht, mit Aussicht auf eine "Fach- oder Führungskarriere" in einem gemeinnützigen Unternehmen. Geplante Orts- und Abteilungswechsel, überall mal reinschnuppern, das klang eigentlich traumhaft! Zunächst war's auch toll, mal einen neuen Flecken Deutschland zu entdecken und sich ins Schwäbische reinzudenken... dann irgendwann nicht mehr.
Das war der Punkt, wo ich mir eine Pause verordnet habe.
Bis zur Pause hat's noch ein wenig gedauert und ich hab im Dezember 2015 den letzten Job wieder mal mit einem lachenden und einem weinenden Auge verlassen. Bin sehr dankbar über die letzten drei Monate, in denen ich tatsächlich nochmal den Duft eines normalen, "der Ausbildung entsprechenden" Arbeitslebens mit tollen Kollegen schnuppern konnte. Und ich fühle mich nach diesen drei Monaten auch sicherer denn je, dass mich mit einem solchen Büroleben auch anfreunden könnte, wenn es denn irgendwann notwendig würde. Ist es aber gerade nicht - und ich habe inzwischen auch eine sehr klare Idee davon, was ich stattdessen machen könnte. Dieser Vorstellung möchte ich auf den Zahn fühlen.
Irgendwo zwischen dieser ersten Fahrradtour und meiner letzten Kündigung ist in meinem Kopf die Idee entstanden, irgendwann "einfach loszugehen". Eigentlich schon viel früher, denn ich hab mir immer vorgestellt, wie es wäre, wenn ich meinen Nachhauseweg in Bautzen nicht bei meinen Eltern beenden, sondern einfach weiterlaufen würde... irgendwann würde ich Prag erreichen und dort Tschechisch lernen. Ich hatte sogar schon einen Plan, wie ich möglichst kostengünstig über die Runden kommen würde: mit Rapsöl und Vitaminbrausetabletten - viel Kalorien für wenig Geld, dazu die notwendigen Ersatzstoffe ;-) Inzwischen würde ich den Speiseplan wohl etwas umfangreicher gestalten...
Das mit dem Loslaufen hat nicht so richtig geklappt und als mir dann plötzlich klar war, das JETZT der richtige Zeitpunkt ist, kamen mir ganz schöne Muffensausen. Wo ist das denn, die große weite Welt, wo will ich denn da hin? Gottseidank hat der Zufall mir noch rechtzeitig eine Hochzeitseinladung in Südostasien geschickt, sodass das Fernziel Malaysia für Mai inzwischen gesetzt ist. Frankreich hat sich dann irgendwie "ergeben", anders kann ich es nicht erklären. Und ich bin ziemlich froh, dass es so gekommen ist.
So it goes...

MuTZelchen - 14. Mär, 09:32
Der Weg ist das Ziel...
Wichtig ist allerdings, dass man sich trotzdem Ziele für seine Fahrradtour setzt, auch wenn man nicht jedes Ziel im Leben erreicht. Und es spricht auch nichts dagegen mal ein Ziel sausen zu lassen oder ein zusätzliches Ziel auf der Reise hinzuzunehmen. Und wenn die Steigung zu groß ist oder die Strecke zu holprig darf man auch gerne mal die Route anpassen.
Keine gute Strategie ist jedoch bei jeder Steigung umzukehren und zu schauen, ob es am anderen Ende des Tales eventuell keine Steigung gibt. Es macht zunächst Spaß den Berg hinunterzusausen, aber dann merkt man, dass man immer noch im selben Tal steckt und an jedem Ende des Tals ein Berg wartet.
Life is like a Fahrradtour...
Wahre Worte
Letztens habe ich auch über andere Vergleichsweisen für das Leben nachgedacht und bin bei Optimierungsalgorithmen gelandet: man geht immer solange in eine gewisse Richtung, bis sich ein Richtungswechsel als vielversprechender erweist. So erreicht man auf kurz oder lang zumindest ein lokales Optimum - und das ist ja schonmal nicht schlecht!