Ge*ä*ndert.
Lang, lang, ja wirklich laaaaaaaang ist es her, seit ich in diesem Blog das letzte Mal etwas geschrieben habe. In der Zwischenzeit habe ich fleißig studiert, hospitiert, praktiziert, dabei auch mal doziert, natürlich einiges ausprobiert, herumphilosophiert, und schließlich hat man mich das erste Mal in meinem Leben staatsexaminiert. Das habe ich nicht unterminiert, höhö...
Nun habe ich mir als zweites Lehramtsfach ganz bewusst eine Sprache rausgesucht, und war anfangs felsenfest davon überzeugt, dass mich die Linguistik in ihren Bann ziehen würde. Das erste Jahr war ich in diesem Bereich auch wirklich fleißig unterwegs, bin dann aber müde geworden und habe entgegen meiner Überzeugung festgestellt, dass ich mich wohl doch eher den Kultur- und Literaturwissenschaften vertiefen möchte. Natürlich nur soweit, wie es das Lehramtsstudium vorsieht - aber selbst das entspricht mehr als dem üblichen fachlichen Fremdsprachen-Bachelor. Interessanterweise stieß ich nun ausgerechnet im literarischen, später auch im bildungswissenschaftlichen Bereich auf ein Thema, was ich früher wohl eher der Linguistik zugeordnet hätte: "Geschlechtergerechte Sprache", oder auch: Gendern.
Ich muss zugeben, dass ich - wie sehr viele Nicht-Geisteswissenschaftler, inbgeriffen natürlich auch Nicht-Akademiker - dem Gendern grundsätzlich erst einmal skeptisch gegenüberstand. Dabei erinnere ich mich zum Beispiel an ein nettes Gespräch im Eine-Welt-Laden, an dessen Ende mich die Mitarbeiterin fragte, welchen Beruf ich habe, und mich nach meiner Antwort darauf hinwies, doch besser "MathematikerIN" zu sagen. Bis dato hatte sich noch nie jemand daran gestört, ob ich mich im Rahmen meiner Berufsbezeichnung auch gleich geschlechtlich oute. Damals empfand ich das als Besserwisserei.
Heute kenne ich viel mehr, wenn nicht fast alle Argumente der Gender-Befürworter und zu meiner Skepsis ist Verständnis gekommen. Verständnis dafür, dass sich einige Frauen nicht "mitgemeint" fühlen. Dafür, dass sie sich ggf. dadurch benachteiligt fühlen. Dafür, dass man tatsächlich eher an männliche Beispiele denkt, wenn ein Wort mit dem grammatisch männlichen Artikel daherkommt (Deutsche denken sich bei der Sonne eher eine Frau, Franzosen bei "le soleil" einen Mann). Dafür, dass die Erreichbarkeit von Berufen durch die Hervorhebung der weiblichen Form für Kinder deutlicher wird als ohne (so herausgefunden in einer der Studien, die ich dazu gelesen habe). Dafür, dass es Menschen gibt, die mit Gendersternchen* noch weitere Geschlechter "sichtbar" machen wollen.
Kurzum: Verständnis für die Wahrnehmung anderer und die daraus sinnvolle Konsequenz, wie diese Menschen ihre Sprache handhaben wollen. Dafür, dass sie aktiv an der Veränderung von Sprache mitwirken wollen. Und genau an dieser Stelle fügt sich von meiner Seite auch weiterhin Skepsis und Unverständnis an.
Skepsis, ob Geschlecht in unserer heutigen Gesellschaft durch sprachliche Kennzeichnung nicht mehr Gewicht bekommt als es haben sollte. Skepsis, ob man es nicht auch übertreiben kann und Bedeutung durch Partizipienbildung ("Studierende" statt "Studentin/Student", noch besser: Bankraubender statt Bankräuberin/-räuber) eben nicht eins zu eins beibehalten kann. Skepsis, ob die vermeintliche Lösung der Doppelnennung "Kundinnen und Kunden" nicht die nächste Genderdebatte (wer wird zuerst genannt?) entflammen könnte. Skepsis, ob nicht-geschlechtliche Bevölkerungsgruppen auch plötzlich "sichtbar gemacht werden wollen", weil sie sich nicht mitgenannt fühlen. Überspitzt formuliert hieße das in letzter Konsequenz: "Sehr geehrte Damen und Herren aller Hautfarben und Bundesländer sowie aus dem Ausland, liebe Rollstuhlfahrer*innen und Blinde..." Skepsis, ob durchgängig gegenderte Texte vereinbar sind mit dem Anliegen einfacher Sprache, die Texte für Leseschwache und Deutschlernende leichter zugänglich macht.
Unverständnis entwickle ich denjenigen gegenüber, die Menschen anderer Meinung - ob Genderbefürworter oder -gegner - als dumm, arrogant, selbstverliebt, uninformiert usw. darstellen. Unverständnis gegen Argumente, die mit einer Diffamierung einer Bevölkerungsgruppe ("alte weiße Männer") beginnen. Unverständnis, wenn man das Recht, was man für sich selbst einfordert (z.B. auf Ansprache als "X", "in",...) anderen vorenthält (... siehe mein Gespräch oben, ich habe mich damals gern als "MathematikER" bezeichnet). Unverständnis, warum man nach Meinungsumfragen, Rechtssprechungen und weiteren Abbildern der AKTUELLEN öffentlichen Meinung, die eher skeptisch gegenüber geschlechtergeschlechter Sprache scheint, trotzdem auf Teufel komm raus Sprache "von oben", das heißt per Gesetz und Verfügung, ändern will.
Nach all den Seminaren, Artikeln, Unterhaltungen und einigen Stunden eigenen Nachdenkens habe ich für mich beschlossen, dass ich im persönlichen Umgang mit Freunden, die gendersprachsensibel sind, ebenfalls Sensibilität zeige und dort eher geschlechtsneutrale Formulierungen wähle, vor allem wenn es sie betrifft. Ich habe entschieden, dass ich im Unterricht eher "alle" statt "jede/r" sagen möchte und, wo es geht, bei Rechenbeispielen auch mal Männer und Frauen in nicht-stereotypen Tätigkeiten einsetzen werde (z.B. "Papa kauft ein", "Die Bauingenieurin XXX will berechnen..."), und bei der Thematisierung von Berufen ebenso die Erreichbarkeit für alle deutlich machen will. Lieber wäre mir ehrlich gesagt, auf die Geschlechtsangabe in Aufgaben komplett verzichten zu können. Vielleicht werde ich sogar ab und zu ein Gendersternchen verwenden, Doppelnennungen nutzen. Aber ich werde sicher nicht alle verfügbaren Aufgaben ohne gegenderte Sprache aussortieren - dann lieber mal ein Bildchen von Ärzten (rein männlich) durch ein Ärztebild mehrerer Geschlechter ersetzen. Denn nicht nur Sprache prägt Denken, sondern auch Realität prägt Sprache.
Ich finde Sprache nach wie vor faszinierend, unter anderem weil sie sich dauernd verändert, und das nicht nur im Hinblick aufs Geschlecht. Allerdings bin ich sehr skeptisch gegenüber Sprachwandel "von oben" - ich erinnere dabei daran, wie der Begriff "Mädel" gesellschaftsfähig gemacht wurde! Wenn Gendern tatsächlich eine praktikable Lösung für Sichtbarkeitsdebatten ist, braucht es keine Sprachgesetze, dann setzt sich die Praxis von selbst durch gute Beispiele und ihre Nachahmung. Insofern, liebe Genderer und Gendererinnen: schreibt, bloggt, redet weiterhin geschlechtergerecht! Fühlt Euch nicht angegriffen von unsachlichen Debatten - reagiert aber auch nicht mit unsachlichen Argumenten, sondern lasst anderen ihre Wahrnehmung (wie zum Beispiel: "ich fühle mich durchaus mitgemeint"). Lasst andere schreiben, wie sie wollen und zeigt ihnen lieber anhand eigener Texte, wie praktikabel gegenderte Zeilen doch sein können.
Und wer weiß, vielleicht hat sich in ein paar Jahren die gesellschaftliche Spannung dieses Themas ge*ä*ndert ;)
Nun habe ich mir als zweites Lehramtsfach ganz bewusst eine Sprache rausgesucht, und war anfangs felsenfest davon überzeugt, dass mich die Linguistik in ihren Bann ziehen würde. Das erste Jahr war ich in diesem Bereich auch wirklich fleißig unterwegs, bin dann aber müde geworden und habe entgegen meiner Überzeugung festgestellt, dass ich mich wohl doch eher den Kultur- und Literaturwissenschaften vertiefen möchte. Natürlich nur soweit, wie es das Lehramtsstudium vorsieht - aber selbst das entspricht mehr als dem üblichen fachlichen Fremdsprachen-Bachelor. Interessanterweise stieß ich nun ausgerechnet im literarischen, später auch im bildungswissenschaftlichen Bereich auf ein Thema, was ich früher wohl eher der Linguistik zugeordnet hätte: "Geschlechtergerechte Sprache", oder auch: Gendern.
Ich muss zugeben, dass ich - wie sehr viele Nicht-Geisteswissenschaftler, inbgeriffen natürlich auch Nicht-Akademiker - dem Gendern grundsätzlich erst einmal skeptisch gegenüberstand. Dabei erinnere ich mich zum Beispiel an ein nettes Gespräch im Eine-Welt-Laden, an dessen Ende mich die Mitarbeiterin fragte, welchen Beruf ich habe, und mich nach meiner Antwort darauf hinwies, doch besser "MathematikerIN" zu sagen. Bis dato hatte sich noch nie jemand daran gestört, ob ich mich im Rahmen meiner Berufsbezeichnung auch gleich geschlechtlich oute. Damals empfand ich das als Besserwisserei.
Heute kenne ich viel mehr, wenn nicht fast alle Argumente der Gender-Befürworter und zu meiner Skepsis ist Verständnis gekommen. Verständnis dafür, dass sich einige Frauen nicht "mitgemeint" fühlen. Dafür, dass sie sich ggf. dadurch benachteiligt fühlen. Dafür, dass man tatsächlich eher an männliche Beispiele denkt, wenn ein Wort mit dem grammatisch männlichen Artikel daherkommt (Deutsche denken sich bei der Sonne eher eine Frau, Franzosen bei "le soleil" einen Mann). Dafür, dass die Erreichbarkeit von Berufen durch die Hervorhebung der weiblichen Form für Kinder deutlicher wird als ohne (so herausgefunden in einer der Studien, die ich dazu gelesen habe). Dafür, dass es Menschen gibt, die mit Gendersternchen* noch weitere Geschlechter "sichtbar" machen wollen.
Kurzum: Verständnis für die Wahrnehmung anderer und die daraus sinnvolle Konsequenz, wie diese Menschen ihre Sprache handhaben wollen. Dafür, dass sie aktiv an der Veränderung von Sprache mitwirken wollen. Und genau an dieser Stelle fügt sich von meiner Seite auch weiterhin Skepsis und Unverständnis an.
Skepsis, ob Geschlecht in unserer heutigen Gesellschaft durch sprachliche Kennzeichnung nicht mehr Gewicht bekommt als es haben sollte. Skepsis, ob man es nicht auch übertreiben kann und Bedeutung durch Partizipienbildung ("Studierende" statt "Studentin/Student", noch besser: Bankraubender statt Bankräuberin/-räuber) eben nicht eins zu eins beibehalten kann. Skepsis, ob die vermeintliche Lösung der Doppelnennung "Kundinnen und Kunden" nicht die nächste Genderdebatte (wer wird zuerst genannt?) entflammen könnte. Skepsis, ob nicht-geschlechtliche Bevölkerungsgruppen auch plötzlich "sichtbar gemacht werden wollen", weil sie sich nicht mitgenannt fühlen. Überspitzt formuliert hieße das in letzter Konsequenz: "Sehr geehrte Damen und Herren aller Hautfarben und Bundesländer sowie aus dem Ausland, liebe Rollstuhlfahrer*innen und Blinde..." Skepsis, ob durchgängig gegenderte Texte vereinbar sind mit dem Anliegen einfacher Sprache, die Texte für Leseschwache und Deutschlernende leichter zugänglich macht.
Unverständnis entwickle ich denjenigen gegenüber, die Menschen anderer Meinung - ob Genderbefürworter oder -gegner - als dumm, arrogant, selbstverliebt, uninformiert usw. darstellen. Unverständnis gegen Argumente, die mit einer Diffamierung einer Bevölkerungsgruppe ("alte weiße Männer") beginnen. Unverständnis, wenn man das Recht, was man für sich selbst einfordert (z.B. auf Ansprache als "X", "in",...) anderen vorenthält (... siehe mein Gespräch oben, ich habe mich damals gern als "MathematikER" bezeichnet). Unverständnis, warum man nach Meinungsumfragen, Rechtssprechungen und weiteren Abbildern der AKTUELLEN öffentlichen Meinung, die eher skeptisch gegenüber geschlechtergeschlechter Sprache scheint, trotzdem auf Teufel komm raus Sprache "von oben", das heißt per Gesetz und Verfügung, ändern will.
Nach all den Seminaren, Artikeln, Unterhaltungen und einigen Stunden eigenen Nachdenkens habe ich für mich beschlossen, dass ich im persönlichen Umgang mit Freunden, die gendersprachsensibel sind, ebenfalls Sensibilität zeige und dort eher geschlechtsneutrale Formulierungen wähle, vor allem wenn es sie betrifft. Ich habe entschieden, dass ich im Unterricht eher "alle" statt "jede/r" sagen möchte und, wo es geht, bei Rechenbeispielen auch mal Männer und Frauen in nicht-stereotypen Tätigkeiten einsetzen werde (z.B. "Papa kauft ein", "Die Bauingenieurin XXX will berechnen..."), und bei der Thematisierung von Berufen ebenso die Erreichbarkeit für alle deutlich machen will. Lieber wäre mir ehrlich gesagt, auf die Geschlechtsangabe in Aufgaben komplett verzichten zu können. Vielleicht werde ich sogar ab und zu ein Gendersternchen verwenden, Doppelnennungen nutzen. Aber ich werde sicher nicht alle verfügbaren Aufgaben ohne gegenderte Sprache aussortieren - dann lieber mal ein Bildchen von Ärzten (rein männlich) durch ein Ärztebild mehrerer Geschlechter ersetzen. Denn nicht nur Sprache prägt Denken, sondern auch Realität prägt Sprache.
Ich finde Sprache nach wie vor faszinierend, unter anderem weil sie sich dauernd verändert, und das nicht nur im Hinblick aufs Geschlecht. Allerdings bin ich sehr skeptisch gegenüber Sprachwandel "von oben" - ich erinnere dabei daran, wie der Begriff "Mädel" gesellschaftsfähig gemacht wurde! Wenn Gendern tatsächlich eine praktikable Lösung für Sichtbarkeitsdebatten ist, braucht es keine Sprachgesetze, dann setzt sich die Praxis von selbst durch gute Beispiele und ihre Nachahmung. Insofern, liebe Genderer und Gendererinnen: schreibt, bloggt, redet weiterhin geschlechtergerecht! Fühlt Euch nicht angegriffen von unsachlichen Debatten - reagiert aber auch nicht mit unsachlichen Argumenten, sondern lasst anderen ihre Wahrnehmung (wie zum Beispiel: "ich fühle mich durchaus mitgemeint"). Lasst andere schreiben, wie sie wollen und zeigt ihnen lieber anhand eigener Texte, wie praktikabel gegenderte Zeilen doch sein können.
Und wer weiß, vielleicht hat sich in ein paar Jahren die gesellschaftliche Spannung dieses Themas ge*ä*ndert ;)
MuTZelchen - 29. Mär, 13:38