Samstag, 11. April 2015

Unter freiem Himmel

Lassen wir mal die Aufzählung der besuchten Sehens- und Schmeckenswürdigkeiten in Lyon beiseite
- oder zählen sie in kursiv schnell auf: Blick in die Altstadt aus dem höhergelegenen Stadtviertel la Croix Rousse, Bounty-Eis am "Rathausplatz", Musée des Beaux Arts, Pommes frites mit Samuraisauce, Musée des Confluences (eine Art Riesen-Hygienemuseum, in dem verschiedene Themen aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt werden - ich hab viel über astronomische Theorien zur Entstehung des Universums gelernt), Tomaten-Basilikum-Eis in der Altstadt, Park Tête d'Or und ganz tolles Olivenbrot gleich hinterm Gare Part-Dieu -
und konzentrieren uns auf das Wesentliche einer Fahrradreise: das Wetter. Das macht inzwischen keine Anstalten mehr, sondern hat sich ganz radelfreundlich mit Sonne, Rücken- oder Seitwind und fast schon sommerlichen Temperaturen eingestellt. Seit kurz vor Lyon ist es wunderbar frühlingshaft und die Natur reagiert mit einem Feuerwerk von Farben. Leider hab ich davon vorgestern anfangs nicht ganz so viel gesehen, da mich das die Großstadt umringende Industrie- und Einkaufsland lange nicht loslassen wollte. Irgendwo hatte ich den Abzweig zur Rhone verpasst und musste so bis kurz vor Bourgoin-Jaillieu auf der stark befahrenen Departementale (die wiederum parallel zur Autobahn zwischen Lyon und Grenoble verlief) mit Lastwagen um die Wette fahren.

Ich wollte diesen Tagesabschnitt schon als hässlichste Etappe meiner Tour deklarieren, als ich im Dorf hinter Bourgoin-Jaillieu ein paar hundert Meter bergauf radelte. Der Blick von der Hochebene in Richtung Osten ließ mich dann aber schnell umdenken: diesmal gab es nicht nur einen kleinen Vorgeschmack, sondern ein ausgewachsenes Alpenpanorama, was sich vor mir erstreckte. Die Radelei machte gleich wieder mehr Spaß und so kam ich guter Dinge gegen halb sieben in meinem Zielort Les Avenières an. Dort hatte ich im Voraus allerdings keinen Gastgeber gefunden und überlegt so, wie bzw. wo ich nächtigen könnte.

Recht schnell fand ich ein Hotel im Zentrum, dass Einzelzimmer für 45€ anbot - in dieser Region ein absolutes Schnäppchen. Da es noch hell war, hatte ich aber keine Eile und dachte, ich probier mein Glück vielleicht noch woanders. Und so radelte ich zum ausgewiesenen Campingplatz, wo ich auf die Helferqualitäten anderer Gäste hoffte (in den USA hatte ich früher einmal eine sehr gute Erfahrung auf dem Nationalpark-Zeltplatz gemacht, wo uns eine Gruppe von Navy-Urlaubern auf ihrem Standplatz schlafen ließen). Natürlich hatte die Saison gerade erst begonnen und es gab nicht viele Camper, aber nichtsdestotrotz fragte ich die Dame an der Rezeption, ob ich mich mal umhören dürfe. Sie fand das eher nicht so toll, bot mir aber an, für die reguläre Radurlauber-Gebühr mit Fahrrad und Gepäck auf einem eigenen Stellplatz zu nächtigen. Und so zahlte ich meine 6,33€, suchte mir eine schöne Hecke für Luigi und überlegte, wie ich es mir bequem machen könne.

Nach einem Baguette-und-Käse-Abendbrot breitete ich meine Notfall-Gold-Silber-Decke aus, darauf kam mein Schlafsack, den ich mit allerlei Kleidung als Extra-Isolation füllte (auch das ist ein Trick, den ich mir in einer seehr kalten Nacht in den USA angewöhnt hatte). Ich las nach dem Bettfertigmachen im Dunkeln noch ein paar Seiten - Stirnlampe sei Dank! - und hoffte beim Einschlafen, die Nacht würde nicht allzu kalt werden. Und siehe da: ich hab fast 8 Stunden duchgehalten und bin erst mit Sonnenaufgang mit Vögelzwitschern wieder aufgestanden. Zwar träumte ich zwischendurch kurz mal davon, dass ich obdachlos sei und keine Socken mehr besitzen würde - aber wach gemacht hat mich die Kälte nicht mehr ;-)

Der Vorteil des frühen Aufstehens liegt auf der Hand: man hat mehr vom Tag. So bin ich noch vor acht Uhr im ersten Café eingekehrt und war erstaunt, dass ich dort bei weitem nicht die erste war. Ständig kam ein neuer Gast herein, wurde mit Vornamen duzend begrüßt und bekam seinen Morgenkaffee. Es wundert mich nun auch nicht mehr, dass viele meiner Gastgeber keine ordentliche Kaffeemaschine besitzen...

Die letzten zwei Etappe waren geprägt vom Alpenblick, wunderbaren langen Pausen unter freiem Himmel sowie dem mentalen Abschluss mit meinem Frankreich-Abenteuer. Ich habe gestern noch eine letzte Flasche regionalen Weines gekauft, dessen Rest ich heute an meinem letzten französischen Abend mit meinen Gastgebern auf der Ziegenfarm in Feigères teilen werde. Morgen geht's dann hinüber in die Schweiz, wo ich noch ein wenig Frankophonie erleben werde, bevor ich am Mittwoch in den deutschsprachigen Teil wechsele. Und sollte sich im Schweizer-Franken-Land mal keine Unterkunft finden, dann schlafe ich wieder unter freiem Himmel!

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Danke für den Artikel....
Danke für den Artikel. Er trifft m.E. so manchen Nagel...
Waldwuffel (Gast) - 4. Mär, 22:04

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